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„Zeit, die Dinge einfach mal zu Ende zu denken.“

Teil 1

Hi Simon, schön, dass du dich bereit erklärt hast, uns einige Fragen zu beantworten. Wir sind schon sehr gespannt auf deine Berichte. Vielleicht kannst du erstmal ein bisschen über dich erzählen.

Hi, also ich bin 22 Jahre alt. Ich komme ursprünglich aus der Gegend um Heidelberg, wohne aber jetzt in Regensburg und studiere dort Humanmedizin. Meine Hobbys liegen vor allem im Outdoorsport-Bereich. Ich wandere und klettere sehr gerne, aber tanze zum Beispiel auch.

 

Oh Tanzen. Damit hätten wir jetzt nicht gerechnet. Was genau tanzst du denn?

Vorwiegend lateinamerikanischer Tanz. Das ist ein Paartanz. Samba, Cha-Cha, Jive und Rumba.

 

Und wie bist du dann zum Klettern gekommen?

Ich habe in der 6. Klasse in einer AG mit dem Klettern angefangen. Später, gegen Ende der Schulzeit, bin ich mit meiner Schwester sehr oft zum Bouldern gegangen. Ich hatte immer mal wieder Pausen zwischendurch, aber jetzt in Regensburg mache ich das auch ab und zu. Und demnächst werde ich an der Uni einen Kletterkurs für Toprope und Vorstieg machen. 

 

Bist du hin und wieder auch draußen am Fels?

Was das Bouldern angeht, da bin ich, glaube ich, noch nicht erfahren genug, um draußen an den Fels zu gehen. Aber ja, perspektivisch möchte ich schon gerne draußen in der Natur klettern.

 

Wie sieht es denn in Regensburg mit der queeren Community in den Kletterhallen aus?

Mein Eindruck ist, dass es dort auf jeden Fall queerfreundlich ist. Aber mir ist bisher zumindest nicht aufgefallen, dass hier jetzt die queere Community besonders präsent ist, im Vergleich zu anderen Bereichen.

 

Was bedeutet es für dich, in der Natur unterwegs zu sein, beim Klettern oder Wandern?

Ich verbinde damit ein großes Gefühl von Freiheit. Und ich mag es auch generell sehr gerne minimalistisch unterwegs zu sein. Daher hat mich das Fernwandern auch irgendwie am meisten gereizt. Dabei hat man dieses gute Gefühl, dem Alltag auch mal zu entkommen. Allgemein ist es ja schon so, dass wir heutzutage echt vielen Einflüssen im Alltag ausgesetzt sind, und die Natur gibt mir dann wirklich mal die Möglichkeit abzuschalten und meinen Gedanken freien Lauf zu lassen. Da habe ich Zeit, die Dinge einfach mal zu Ende zu denken.

 

Welche größeren Outdoor-Projekte hast du schon erlebt?

Also fast alle meine Projekte vor dem Pacific Crest Trail (PCT) waren ebenfalls Fernwanderungen. Direkt nach dem Abi war ich mit einer sehr guten Freundin für circa sieben Wochen wandern. Wir waren im Schwarzwald auf dem Westweg [Anm. d. Red.: erster Fernwanderweg im Schwarzwald; führt auf 288 km von Nord nach Süd durch den Schwarzwald] und auf einem Teil des E5 in Italien [Anm. d. Red.: Fernwanderweg von Oberstdorf nach Meran]. Später war ich mit der gleichen Freundin in Schottland auf dem “Skye Trail“ auf der Isle of Skye. Dann war ich auch einmal alleine unterwegs, auf einem Fernwanderweg in Dänemark, auf der Insel Møn. Und in den Pyrenäen war ich auch schon einmal für eine Woche Fernwandern, auf einem Teil der „Pyrenees High Route“.

 

Welche deiner vielen Wanderungen würdest du als die Schönste bezeichnen?

Ich glaube, neben dem PCT war meine erste Fernwanderung im Schwarzwald und in den Alpen die, die mir am meisten in Erinnerung geblieben ist. Wenn man einfach das allererste Mal losgeht und weiß, jetzt über mehrere Wochen abseits des Alltags unterwegs zu sein, alleine und auf sich selbst gestellt, alles was man braucht im Rucksack. Ja, das ist irgendwie was Besonderes und ist mir sehr im Gedächtnis geblieben. Ich glaube, das geht wahrscheinlich vielen so mit der ersten großen Wanderung. Und da ich auf dieser Tour auch mit einer Freundin unterwegs war, haben wir echt sehr viel gelacht und gemeinsam Spaß gehabt. Die Natur war zwar im Schwarzwald nicht die spektakulärste, im Vergleich zu meinen anderen Wanderungen, aber das war auch eher sekundär, um eine unvergessliche Zeit zu haben.

 

Du sagtest, du bist minimalistisch unterwegs, kannst du das genauer erklären?

Mit “minimalistisch” meine ich, dass ich eigentlich wirklich nur die Basics zum Wandern und Überleben bei mir im Rucksack habe. Zum Beispiel Zelt, Schlafsack, Isomatte, Essen und Trinken. Damit ich zwischendurch auch mal einen Podcast oder Musik hören kann und für Fotos, habe ich auch noch mein Handy mit dabei. Ich wandere generell nach dem „ultralight“ Prinzip. Das ist vor allem in Amerika auf den langen Trails sehr verbreitet. Das bedeutet, dass man sein gesamtes Equipment so leicht wie möglich hält. Der Fokus bei den Vorbereitungen ist dann vor allem das Gewicht. Da sägen manche auch schon mal den Griff von der Zahnbürste ab, um Gewicht zu sparen. Soweit habe ich es allerdings noch nicht getrieben.

 

Bist du dann auch bei Gleichgesinnten minimalistisch und wanderst lieber allein?

Das mit dem Minimalismus bezieht sich bei mir in der Tat nur auf das Equipment. Ansonsten wandere ich lieber gemeinsam in einer Gruppe. Ich habe die Erfahrung gemacht, dass mit einer tollen Gruppe oder auch schon zu zweit, die ganzen schönen Erlebnisse noch schöner werden und die Tiefpunkte sich nur halb so schwer anfühlen. Aber zwischendurch mal alleine unterwegs zu sein, kann natürlich auch ein besonderes Erlebnis sein.

 

Du hattest irgendwann mal erwähnt, dass du dich gerne mehr im queeren Aktivismus engagieren würdest. Erzähl doch mal.

Die Überlegungen, diesen Wunsch in die Tat umzusetzen, kamen mir vor allem, als ich auf dem PCT unterwegs war. Mir liegt viel daran, dass die Sichtbarkeit und Akzeptanz der LGBTQ+ Community größer wird. Auch die vielen kleineren Gruppen innerhalb der Community brauchen mehr Sichtbarkeit, also zum Beispiel Menschen, die sich als asexuell oder non-binär identifizieren. Insbesondere in den USA ist mir aufgefallen, dass es da auf jeden Fall noch an Akzeptanz und Aufklärung fehlt. Gerade in den kleinen Städten und Dörfern entlang des PCT habe ich bemerkt, dass es zum Teil schon ziemlich konservativ zugeht und mir die Haltung leider eher weniger queerfreundlich erscheint. Ich selbst hatte zwar keine schlechten Erfahrungen während meiner Zeit dort, habe mich allerdings viel mit einer Freundin, die ursprünglich aus Texas kommt, darüber ausgetauscht. In den Regionen, abseits der großen bekannten Städte, als queere Person aufzuwachsen, kann sich wohl als besonders schwierig erweisen. 

 

So, dann lass uns mal zu deinem großen Abenteuer auf dem Pacific Crest Trail kommen. Erzähl doch mal in Kürze, was genau wir uns darunter vorstellen können.

Der PCT ist einer der bekanntesten Fernwanderwege in den USA. Er verläuft entlang von Gebirgszügen im Westen der USA, durch die Staaten Kalifornien, Oregon und Washington. Ich bin von der mexikanischen Grenze aus gestartet. Von dort bin ich bis nach Kanada gewandert. Der Großteil der Wanderer wandert in diese Richtung, also von Süden nach Norden. Es gibt allerdings auch Wanderer, die an der kanadischen Grenze starten und nach Süden wandern. Der Trail ist insgesamt circa 4280 Kilometer lang und ich war insgesamt für 5 ½ Monate unterwegs. 

 

Was hat den Trail so bekannt gemacht?

Generell ist das Fernwandern in den USA sehr beliebt. Es gibt in den USA auch noch einige andere bekannte Fernwanderwege, wie zum Beispiel den Continental Divide Trail (CDT) oder Appalachian Trail (AT). Ich glaube der PCT sticht da wegen seiner abwechslungsreichen Natur jedoch besonders heraus. Zudem ist er auch gut geeignet für Menschen, die zuvor noch keine große Wandererfahrung gesammelt haben. In den USA gibt es schon seit längerer Zeit eine große Wandercommunity entlang dieser Trails, die echt sehr besonders ist. 

 

Wie bist du denn nun auf gerade diesen Trail gekommen?

Das erste Mal habe ich von meiner Cousine von dem Trail gehört. Sie ist 2016 den PCT gewandert. Das hat mich damals schon sehr inspiriert und eigentlich wäre ich dann gerne direkt nach dem Abitur auf einen der drei großen Trails in den USA. Dann kam leider erstmal Corona dazwischen, aber später hat es dann ja zum Glück geklappt.

 

Dann erzähl doch mal, wie sind deine Erinnerungen an die ersten Tage auf dem Trail?

Die ersten Tage waren wirklich aufregend für mich. Also ich erinnere mich noch gut daran, wie wir ganz zu Beginn an der mexikanischen Grenze am südlichen Terminus mit dem Shuttle angekommen sind. Wir haben uns erstmal in das Logbuch eingetragen, ein paar Fotos gemacht und sind dann ziemlich direkt losgewandert. Die ersten 700 Meilen des Trails sind Wüste. Es war also dementsprechend heiß. Am ersten Tag habe ich mich wirklich überhaupt nicht fit gefühlt. Das war daher auch erstmal ein Ankommen in der Realität. Am zweiten und dritten Tag hatte ich dann auch sehr starken Muskelkater, unter anderem wegen meines anfänglich zu schweren Rucksacks. In den nächsten Tagen bin ich dann aber viel zuversichtlicher geworden. Man lernt relativ schnell viel dazu und es wurde für mich dann auch Tag für Tag immer leichter, mehr Kilometer zu wandern. Besonders die ersten Wochen habe ich auch als besonders soziale Zeit in Erinnerung. Es sind so viele Leute zu der Zeit gestartet, zu der ich auch gestartet bin, das war Mitte April. Es gab viele Gespräche, gemeinsames Campen und so weiter. Da sind ganz viele schöne Erinnerungen dabei. 

 

Hat sich das dann auf dem weiteren Weg etwa entzerrt mit den anderen Wanderern?

Ja, auf jeden Fall. Nach dem Wüsten-Abschnitt hat sich das alles sehr entzerrt. Das lag daran, dass 2023 auch ein besonderes Jahr war. Es gab unheimlich viel Schnee auf dem Trail. So viel wie noch nie zuvor seit Beginn der Wetteraufzeichnungen. Der Vorteil 2023 war, dass es in der Wüste zwar schon heiß war, als wir durch gewandert sind, aber definitiv nicht so heiß wie in anderen Jahren. Nach der Wüste kommt die Sierra Nevada, wobei man 300 Meilen lang vor allem im Hochgebirge unterwegs ist. In Jahren mit durchschnittlichen Schneeverhältnissen, hat man ab Anfang/Mitte Juni meistens nur noch an wenigen Wegabschnitten Schneefelder. Aber als wir am Beginn der Sierra Nevada ankamen, war alles noch mit Metern von Schnee bedeckt. Andere Wanderer und ich haben uns dann als feste Gruppe zusammengetan. Wir haben dann ganz viel geplant und uns zusammen vorbereitet, vor allem um mehr Sicherheit zu haben. Es gab auch viele Wanderer, die weiter nach Norden „geflippt“ sind. Das heißt, sie haben die Sierra Nevada erstmal übersprungen, um im späteren Sommer zurückzukommen und den ausgelassenen Teil noch zu wandern. Aus diesem Grund war auf diesem Wegstück für uns viel weniger los. Wir waren als Gruppe für mehrere Wochen unterwegs und haben in dieser Zeit so gut wie keinen anderen Menschen getroffen. Nach circa 6 Wochen in der Sierra Nevada, haben wir uns dann auch als Gruppe zwischenzeitlich aufgeteilt. Ich war dann im Norden Kaliforniens für 2-3 Wochen die meiste Zeit ganz alleine unterwegs. Ich habe zum Teil Tage lang mit fast keinem anderen Menschen gesprochen. Das war auch eine intensive Zeit, allerdings war es dann umso schöner, später wieder mit meinen Freunden zusammen zu wandern.

 

Gab es irgendwann mal einen Moment, in dem du Angst oder Sorgen hattest?

Es gab ganz bestimmt einige Momente, in denen ich Angst oder Sorgen hatte. Bei größeren Flussüberquerungen oder auch öfter mal beim Wandern in der Nacht, wenn man plötzlich die Augen von einem Reh im Dunkeln sieht. Irgendwann haben wir in der Gruppe auch angefangen, uns gegenseitig im Dunkeln zu erschrecken. Da war ich sehr schreckhaft, aber es war auch immer wieder lustig.

Es gab mal einen Moment auf einem steilen Pass in der Sierra Nevada, wo ich Angst hatte, dass ich gleich abstürze bzw. den Hang runter rutsche. Daran erinnere ich mich noch sehr eindrücklich. Die obere Schicht des Schnees ist durch die ersten morgendlichen Sonnenstrahlen schon leicht angeschmolzen und wurde daher ziemlich rutschig. Ich habe dann keinen sicheren Halt mehr mit meinen Steigeisen gefunden. Zum Glück war dann einer meiner Freunde da und konnte mir helfen. Manche hatten Angst vor den Tieren, wie Klapperschlangen oder Bären. Aber ich finde die Tiere sind irgendwie berechenbar und wollen einem ja auch nichts Böses, daher hatte ich deswegen meistens keine Angst. Nur mit Mäusen, die in Washington, als es kälter und regnerischer wurde, bei uns Schutz und Essen gesucht haben, hatte ich das ein oder andere Mal ein Problem, aber Mäuse mochte ich ehrlich gesagt einfach noch nie.

Ich glaube, in einer Stadt unterwegs zu sein, ist generell gefährlicher als auf dem Trail. Also, wenn ich Angst hatte, war es am ehesten vor der Natur und ihren Elementen selbst. Vor Stürmen, Flüssen oder steilen Schnee-Abhängen.

 

Bist du mal an den Punkt gekommen, wo du lieber ausgestiegen wärst?

Den Gedanken, wie es jetzt wäre, einfach abzubrechen, hatte ich während der Zeit auf dem Trail öfters. Aber ich habe nie ernsthaft überlegt auszusteigen. Es war eher in schlechten Momenten oder wenn man mal einen schlechten Tag hatte, dass der Gedanke daran kommt. Manchmal hatte ich das Verlangen mehr in meiner Komfortzone zu sein, aber ich wusste, dass ich trotzdem unbedingt weiter wandern möchte.

 

Welcher Teil war der anstrengendste Teil für dich?

Das war definitiv der Teil durch die Sierra Nevada. Wir wussten, dass dieser Abschnitt eine große Herausforderung sein wird. Deswegen haben wir uns auch zu Beginn mit dem nötigen Schnee-Equipment eingedeckt. Also Eispickel, Steigeisen, wärmere Kleidungsschichten und so weiter. Wir haben versucht, uns so gut wie es geht vorzubereiten. Weil wir, wegen des ganzen Schnees, auch nur viel langsamer voran kamen, haben wir sehr viel Essen eingepackt. Für den ersten Abschnitt hatten wir zum Beispiel Essen für circa 11 Tage dabei. Mein Rucksack war echt ziemlich schwer, er hat so um die 25 Kilogramm gewogen. Das war dann nicht mehr so wirklich „ultralight“ und war insbesondere auf den Pässen, die zum Teil über 4.000 Meter hoch waren, ganz schön heftig. Es kam noch dazu, dass wir alle kaum Erfahrungen hatten, wie man zum Beispiel mit einer Eisaxt umgeht. Wir haben uns dann mit Videos und Artikeln im Internet das Meiste selbst beigebracht.

Besonders anstrengend war für mich das frühe Aufstehen. Wir sind meistens nachts um 1 Uhr aufgestanden, weil der Schnee zu dieser Zeit noch gefroren war. Um zwei Uhr sind wir dann aufgebrochen. Das Navigieren, vor allem in der Nacht, war auch eine Herausforderung. Es war dunkel, alles war verschneit und wir hatten auch meistens viele Flussüberquerungen. Manchmal sind wir stundenlang den Fluss auf- und abwärts abgelaufen, um eine Stelle zu finden, an der wir einigermaßen sicher queren konnten. Und dann früh morgens, bei Minusgraden, ins eiskalte Wasser zu gehen, um rüberzukommen, war echt sehr ungemütlich.

Es kam auch öfters vor, dass wir durch Gestrüpp und über Felsen unsere eigene Route suchen mussten, da der eigentliche Trail unpassierbar oder zu gefährlich war, durch zerstörte Brücken, Lawinen, oder generell durch die großen Schneemengen. Wir haben uns als Gruppe immer gegenseitig unterstützt. Es gab zwar auf jeden Fall auch Momente, wo das dauerhafte zusammen Wandern auch Schwierigkeiten bereitet hat. Jeder hatte mal unterschiedliche Vorstellungen, wie wir etwas angehen als Gruppe und wir alle mussten uns daran gewöhnen, Kompromisse zu schließen und für das ganze Team zu agieren. Letztendlich waren wir aber ein echt gutes Team und ich hätte es nicht ohne meine Gruppe geschafft. Ich habe in dieser Zeit tiefe Freundschaften geschlossen. Wir haben uns in den glücklichsten, aber auch härtesten Momenten kennengelernt, was uns wirklich sehr verbunden hat. Das war schon ein großes Abenteuer. So herausfordernd diese Etappe auch war, war es auf jeden Fall auch eine der Schönsten für mich.

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